Rede von Oliver Müller zum Haushalt der Stadt Celle 2017
Lange hat es gedauert, bis der Haushalt 2017 der Stadt Celle in trockenen Tüchern war. Welche strukturellen Probleme bleiben, welche Vorschläge Die Linke/BSG macht und warum sie dem Haushalt nicht zugestimmt hat? Das alles lässt sich der Rede zum Haushalt 2017 von Oliver Müller, Fraktionsvorsitzender von Die Linke/BSG, entnehmen. Hier im Wortlaut:
Nach dem Einbruch im Zuge der Finanzkrise 2009 hatten die Gewerbesteuereinnahmen bundesweit schon drei Jahre später ihr altes Niveau erreicht und heute liegen sie rund 25 Prozent darüber. In Celle sind wir von dieser Entwicklung vollständig abgekoppelt.
Und nicht nur das. Uns erwischte ein zweiter massiver Einbruch um mehr als 25 Prozent im vergangenen Jahr. Wir sind praktisch wieder auf dem Stand des Krisenjahres 2009. Und wir kommen da absehbar nicht raus.
Das alles, obwohl sich die neu ausgewiesenen Gewerbeflächen der Stadt füllen. Und das alles, obwohl wir mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftige haben als jemals zuvor.
Bei uns aber gilt: Hat die Erdölindustrie Fieber, bekommt die Stadt Celle eine Lungenentzündung.
Wir sind der Auffassung, dass Rat und Verwaltung diesen Zusammenhang viel stärker in die Stadtgesellschaft kommunizieren müssen. Und ich finde – Steuergeheimnis hin oder her – die Stadtgesellschaft hat auch einen Anspruch darauf zu erfahren, ob es Betriebe gibt, die keine Gewerbesteuern mehr zahlen, weil sie sich aufgrund von Fusionen oder anderer Möglichkeiten aus der Zahlung herausgeschlichen haben. Dabei müssen keine Namen genannt werden, aber der Fakt an sich.
Und wir stecken in einer weiteren Klemme: Die Erdölindustrie wird angesichts der erforderlichen Energiewende keine Boomzeiten mehr erleben. Das ist zwar gut für das Klima, aber wenn es so ist, bleiben wir leider auf absehbare Zeit im Vergleich mit anderen Städten ein Armenhaus. Und das ist mehr als bitter.
Es stellt sich also die Frage: Brauchen wir einen Strukturwandel?
Aber eigentlich ist das gar nicht mehr die Frage. Sondern:
Wo soll es hingehen? Wer kann uns helfen, eine halbwegs saubere Analyse hinzubekommen? Welche Mittel hat eine Stadt, einen derartigen Strukturwandel anzustoßen? Darüber müssen wir uns Gedanken machen.
Ein erster Schritt wäre eine Art „Runder Tisch“ mit Betrieben, mit Gewerkschaften und mit Vertreterinnen des Landes. Denn dummerweise kommt hinzu, dass wir als das „Houston Europas“ - wie es im Internetauftritt der Stadt heißt - mit unseren Problemen dadurch eben auch eine Art Alleinstellungsmerkmal haben.
Die strukturelle Krise hat jetzt dazu geführt, dass wir Jahr für Jahr den Haushalt der Stadt weiter ausquetschen. Dabei sind Einsparpotenziale erkannt worden, es sind zusätzliche Einnahmequellen erschlossen worden.
Aber in der letzten Runde haben wir uns als Rat eigentlich nur noch mit Pille-Palle befasst, während relevante Positionen dankenswerterweise durch die Verwaltung generiert wurden. Es ging eigentlich nur noch um Signale, die wir nach Hannover senden. Dafür aber muss man nicht den Kleingärtnerinnen und Kleingärtnern eine Pacht aufdrücken. Denn einen anderen Sinn hat das nicht.
Wir sehen für die kommenden Jahre mindestens zwei wichtige Aufgaben:
Erstens: Es geht weiter darum, die finanziellen Beziehung zwischen Stadt und Landkreis zu Gunsten der Stadt zu verändern. Das muss verhandelt werden. Und wo es durch Zusammenlegung tatsächlich Effizienzgewinne geben sollte, also Einsparmöglichkeiten, sollte dies auch genutzt werden.
Zweitens: Die Congress-Union muss auf den Prüfstand. Es kann nicht angehen, dass wir in einem Wirtschaftsbetrieb Jahr für Jahr Millionendefizite einfahren, die nur geschickt verborgen werden. Das sollten wir uns nicht weiter leisten. Es gibt zwei Wege: Eine Optimierung der Betriebsstruktur oder die Öffnung für eine Privatisierung. Und wahrscheinlich sollten wir beides parallel machen.
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Die miserable Haushaltslage ist mit dafür verantwortlich, dass diese Stadt nicht gerade strotzt vor innovativen Ideen. Wir haben schlicht kein Geld dafür. Deshalb verzichten die Fraktionen wahrscheinlich häufig schon darauf, Anträge einzubringen, die Kosten verursachen. Nichts geht mehr. Das jedenfalls ist der Eindruck, den viele haben.
Zwei Beispiele:
Es wäre sicher schön gewesen, die abgebrannte Sporthalle durch eine größere zu ersetzen. Aber ich sage das hier, auch wenn man sich damit keine Freunde macht: Es wäre für Celle ein „Nice to have“, das wir uns eben nicht leisten können.
In diesem Zusammenhang mal eine Kritik: Die Verwaltungsspitze hat zunächst mit dem Landkreis eine Vier-Feld-Halle geplant, ohne dafür einen Ratsbeschluss zu haben. Deshalb musste Oberbürgermeister Nigge uns jetzt im Prinzip gar nicht fragen, als er dazu „Nein“ gesagt hat. Aber um das mal deutlich zu sagen: Die Verwaltung kann sich eine derart große Geschichte nicht erst über den Haushalt genehmigen lassen. Dafür muss sie sich vorher grünes Licht holen.
Was ist aber ist gut an diesem Beispiel?
Auch wenn man den Bürgerinnen und Bürgern Hoffnung auf eine größere Sporthalle gemacht hat, kann man mit einer guten Begründung da auch wieder zurück. Und leider ist die Haushaltslage eine gute Begründung. Und das gilt aus unserer Sicht aktuell leider auch für die Zuschlag-Forderungen der SPD.
Ich habe – und damit komme ich zum zweiten Beispiel – seit langem den Eindruck, dass am Projekt „Zweispurigkeit Nordwall“ nur noch deshalb festgehalten wird, weil Rat und Verwaltung sonst befürchten, das Gesicht zu verlieren.
Es gibt einige Faktoren, die nach einer Kehrtwende schreien:
1.) Ich weiß nicht, aus welchem Grund die Verwaltung das Umweltgutachten nicht in die Gremien einbringt? Kann es sein, dass das Feinstaub-Problem bei Zweispurigkeit noch größer wird als jetzt schon. Wer will dann dort wohnen? Vor über 3 Jahren ist das Gutachten bestellt – keiner von uns hat es je gesehen.
2.) Jeder vernünftige Mensch weiß, dass es sinnvoll ist, den Verkehr in der Altstadt zu reduzieren statt ihn zu befördern. Die Konkurrenz gegen den Internethandel lässt sich so nicht gewinnen. Die Altstadt als Einkaufszentrum muss ihre Attraktivität anders halten bzw. neu gewinnen.
3.) Muss nicht in die Planungen einbezogen werden, was sich verändert, wenn die Ostumgehung gebaut wird? Wenn die Ostumgehung kommt, die die Zweispurigkeit des Nordwalls auch verkehrstechnisch völliger Quatsch.
Die Konsequenz daraus muss aus unserer Sicht sein, alternative Lösungen für die Stadtentwicklung zu suchen. Denn im Kern geht es dem Rat doch darum, den Norden der Altstadt aufzuwerten. Das aber klappt mit dem aktuellen Konzept überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich denke, dass niemand in Rat und Verwaltung das Gesicht verliert, wenn die Planungen vor diesem Hintergrund auf Alternativen hin untersucht werden.
Insgesamt müssen wir uns für die wichtigen Strukturfragen, um die es geht, mit anderen Akteuren zusammentun, um zu Lösungen zu kommen. Ich nenne einige Punkte, die uns wichtig sind – zu denen sich aber nichts im Haushalt findet, und zu denen sich auch gar nicht unbedingt etwas im Haushalt finden muss. Vier Punkte.
1.) Wir brauchen eine Klimaschutzagentur unter Einbeziehung des Landkreises, interessierter Landkreisgemeinden und der Akteure auf dem Energiemarkt. Haben wir die Klimaschutzagentur, dann braucht Herr Kinder den Aktionstag zum Klimaschutz nicht weiter Jahr um Jahr verschieben.
2.) Wir brauchen seitens der Stadt eine Initiative für Kinder und Jugendliche, die am Existenzminimum leben. Wir haben dazu im vergangenen Herbst einen Antrag gestellt, der mal wieder in den Ablagen der Verwaltung verschwunden zu sein scheint. Hier geht’s nicht um Geld, sondern darum sich überhaupt einmal seitens der Stadt dem Problem zu stellen, dass jedes vierte Kind in dieser Stadt in einem Haushalt lebt, der statistisch als einkommensarm gilt.
3.) Wir brauchen einen Überblick darüber, wo es mit der Integration der Flüchtlinge gut läuft bzw. wo es klemmt. Die Ehrenamtlichen führen Klagen auch in eine Richtung, in der die Stadt zuständig ist – nämlich in Sachen Krippen- und Kindergartenplätze. Die Außenstelle der Landesaufnahmebehörde an der Hohen Wende hat nichts mehr mit dem Projekt von Bildung und Integration zu tun, als dass es uns seinerzeit von Oberbürgermeister Mende verkauft worden ist. Wir sind dort nichts anderes als Dienstleister für die Landesaufnahmebehörde. Ich weiß nicht, ob das unser Job als Stadt ist.
4.) Ein Beispiel für kleine Initiativen, die nichts kosten: Wir haben im August in Sachen Leerstand in der Altstadt den Vorschlag einer „Zwischennutzungsagentur“ gemacht – und seitdem davon nichts mehr gehört. Die Aufwertung der Altstadt ist nicht unser wichtigstes Problem. Aber alles, was die Stadt beleben und als Zentrum attraktiv machen kann, sollte eine Chance bekommen.
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Da weder unsere Appelle zur CongressUnion, noch zum Nordwall bisher fruchten, und da bisher auch die eben von mir referierten Punkte noch nicht im Zentrum städtischen Handelns stehen, wird die Fraktion Die Linke/BSG dem Haushalt nicht zustimmen.
Es sind nach der Wahl neue Zeiten angebrochen – denn unser neuer Oberbürgermeister möchte über strukturelle Änderungen im Verwaltung auch positive finanzielle Ergebnisse erreichen. Und er fordert auch die Politik auf, ein anderes Verhalten an den Tag zu legen :
Wir mögen mehr miteinander reden – statt übereinander.
Lieber Dr. Nigge – da sind wir voll bei der Sache!
Nur: Die Kommunikation seitens der Verwaltung mit dem Rat muss sich dafür allerdings auch ändern. Als aktuelles Beispiel möchte ich hier etwa die unzufriedenstellende Vorstellung der Kostenentwicklung für die verschiedenen Modelle eines neuen Bauhofs nennen.
Wenn die Zahlen erst am Tage der eigentlichen Diskussion, im Fachausschuss, erläutert werden, dann kann unsereiner sich kaum eine fundierte Meinung im Vorfeld der Abstimmung erlauben.
Und wenn wir bei strukturellen Veränderungen sind:
Auch die Politik muss dringend an ihrer Kommunikation gegenüber der Bevölkerung arbeiten. Ein prominentes Beispiel ist der Kreisel am Neumarkt. Wir alle, die die Diskussion im Vorfeld mit beobachtet haben, wussten, dass der Kreisel genau so wird, wie er jetzt ist. Das wurde aber den Cellerinnen und Cellern nicht gesagt.
Der Grund eine kreisrunde Verkehrsberuhigung dort für viel Geld zu bauen, damit die zukünftig entwickelte Allerinsel mehr Verkehrsanbindung erhält, mag manch einem als vertretbar erscheinen – aber wir müssen den Menschen eben auch sagen, um welchen Preis das geschieht. Wenn wir nicht die ganze Wahrheit sagen – so werden sich immer mehr Menschen von der Politik und letztlich von der demokratischen Gesellschaft entfernen.
Ich komme zum Schluss:
Nie im Leben hätte ich gedacht, mal zustimmend den alten Oberbürgermeister Biermann zitieren zu können. Aber wir finden richtig, was er als Laudator zur Verabschiedung seines Nachfolgers gesagt hat – ich zitiere:
„Die reine Merkantilisierung kommunalen Handelns, die in den 90-iger Jahren mit dem Begriff >Unternehmen Stadt< in unser Denken Einzug hielt [...] sollte [...] aus heutiger Sicht noch einmal deutlich hinterfragt werden. [...] Das höchste Ziel [...] einer Kommune ist nämlich nicht die Gewinnmaximierung, sondern der gesellschaftliche Zusammenhalt.“ Zitat Ende.
Auch wenn wir beileibe nicht über Gewinne reden können, wichtig ist, dass wir das Gemeinwohl in den Blick nehmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.